Fahrt nach Güstrow

Zu Besuch im Eidechsen-Ort

Das hatten wir vorher auch noch nicht gewusst: 42 Freunde der Urania hatten sich die Barlach-Stadt Güstrow als Ziel der Sommer-Fahrt ausgesucht und erfuhren nun, dass der Name dieser Stadt vom Altpolabischen „Guscerow“ abstammt, was „Eidechsenort“ bedeutet. Vor über tausend Jahren lebten in diesem damals ziemlich sumpfigen Gebiet westslawische Stämme, die offenbar von der Vielzahl der kleinen Kriechtiere beeindruckt waren und ihre Bleibe danach benannten.
Das war einer der interessanten Fakten, die wir während der Stadtrundfahrt von der Reiseführerin hörten.
Schon von weitem erblickten wir das berühmte Renaissance-Schloss der mecklenburgischen Fürsten, das zur Zeit allerdings renoviert wird; aber das Äußere war geschickt mit Motiv-Planen zugehängt, so dass man den Eindruck hatte, dass Schloss steht in seiner vollen Schönheit vor uns. Wir erfuhren, dass in diesem Schloss Wallenstein ein Jahr lang residierte und dass nach den nordischen Kriegen 1712 hier die Waffenstillstandsverhandlungen u.a. mit dem russischen Zaren Peter dem Großen und auch dem Sachsenkönig August dem Starken stattgefunden hatten.
Wir konnten im Anschluss durch den prachtvollen Schlossgarten im italienischen Stil mit seinen
schattigen Laubengängen spazieren. Uns begeisterte auch die wunderbar restaurierte Altstadt mit dem klassizistischen Rathaus, den prächtigen Bürgerhäusern am Markt und die Domschule aus dem 13. Jahrhundert, die auch heute noch als Schule dient.
Natürlich durfte ein Besuch im Dom nicht fehlen, der durch den „schwebenden Engel“ des berühmten Bildhauers Ernst Barlach weltbekannt ist. Vielen war aber nicht geläufig, dass hier jetzt der Drittguss zu sehen ist. Die Faschisten hatten die erste Figur 1941 eingeschmolzen, eine zweite befindet sich heute in Köln und hier in Güstrow, wo der Künstler 30 Jahre lang gearbeitet hatte, hängt der sogenannte Drittguss des schwebenden Engels, dessen Gesicht Züge der Künstlerin Käthe Kollwitz trägt. Nach einem wunderbaren Mittagessen konnte jeder die Stadt zu Fuß erkunden. Wer nicht so viel laufen konnte oder wollte, genoss die Zeit in einem der zauberhaften kleinen Cafés in den malerischen Innenhöfen oder in der Eisdiele, die in einem der noch vorhandenen Torwächter-Häuschen an der einstigen Stadtmauer untergebracht ist. Andere zog es in die Heilig-Geist-Kirche (1308 als Spital erbaut) wo sich heute das Norddeutsche Krippenmuseum befindet. Auf zwei Etagen bewunderten wir unzählige Weihnachtskrippen aus über 60 Ländern. Sie sind aus Holz, Bernstein, Papier, Eisen oder Wollresten hergestellt. Die kleinste Krippe aus einem Schlehenkern ist nur wenige Millimeter winzig. Einige liefen – trotz hochsommerlicher Temperaturen – bis zur Gertrudenkapelle, in der seit 1953 Skulpturen von Ernst Barlach ausgestellt sind.
Es war ein wunderschöner Ausflug mit vielen interessanten Eindrücken von einer der schönsten Städte Mecklenburgs. Ein herzlicher Dank an Gisela Specht, die diese Tagestour organisierte. Wir können uns dem Urteil Barlachs, der von 1910 an hier lebte, nur anschließen:„Güstrow ist ein Ort, wo man leben kann – trotz Italien.“

Anne-Katrein Becker

Foto: privat